Der erste Drogenkonsumraum in Baden-Württemberg befindet sich in der Karlsruher Kriegsstraße. Seit Dezember können Drogenabhängige ihr mitgebrachtes Suchtmittel dort in einer medizinisch sterilen Umgebung konsumieren. Mitarbeiter*innen der AWO Karlsruhe achten darauf, dass es nicht zu Überdosierungen kommt, und beraten die Betroffenen auf ihrem Weg aus der Sucht.
Ich habe mich für den Drogenkonsumraum in Karlsruhe eingesetzt, weil ich überzeugt bin, dass sich Infektionen und Überdosierungen vermeiden lassen und Süchtige einen Zugang zu professioneller Beratung brauchen. Eine vernünftige Suchtprävention halte ich für deutlich sinnvoller als reine Verbote. Warum? Schauen wir uns doch zunächst einmal das Problem an.
Eine kurze Geschichte der Abhängigkeit
Egal ob in religiösen oder gesellschaftlichen Ritualen, der Gebrauch von bewusstseinserweiternden oder betäubenden Substanzen zieht sich schon seit Jahrtausenden durch alle Kulturen. Doch mit dem Konsum kommt auch die Sucht.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Abhängigkeit von Alkohol oder Morphium zum Problem. Die Abhängigen verloren nach und nach die Kontrolle über ihren Konsum und letztendlich auch über ihr Leben. Dies bedeutete ihren gesellschaftlichen Abstieg.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Einnahme von Kokain und das Spritzen von Heroin weit verbreitet. Zu dieser Zeit wurde die Bekämpfung der mit einhergehenden Beschaffungskriminalität zu einem immer größeren Anliegen der Polizei.
In den letzten Jahren führte Heroin das Drogenproblem Europas an. Doch durch die Einführung von Behandlungsstrategien sind „die Raten des injizierenden Konsums […] gesunken und die Zahl neuer HIV-Fälle in Verbindung mit […] [jener Art des Konsums] ist in den letzten zehn Jahren jedes Jahr um rund 40 Prozent zurückgegangen“, so der Europäische Drogenbericht von 2019.
Dies sind natürlich gute Nachrichten.
Trotzdem gibt es immer stärkere und abhängig machende Stimulantien wie Crystal Meth und Crack auf dem Markt. Auch die verfügbare Menge an Kokain liegt zurzeit bei einem neuen Rekordhoch. Die Zahl von Kokain konsumierenden Patienten, die eine Behandlung beanspruchen, verbuchte in den letzten fünf Jahren einen Zuwachs um etwa 35 Prozent. Der Anstieg von Abhängigen belastet unser Gesundheitssystems immer stärker.
Doch es geht um mehr als um Kosten.
Die Drogen zerstören Leben. Der Körper der Betroffenen leidet unter den zugeführten Nervengiften. Beziehungen zerbrechen, Abhängige rutschen ab in die Beschaffungskriminalität. Oft vereinnahmt der Konsum der Substanzen den Alltag so sehr, dass die Abhängigen ihrem Job, ihrer Ausbildung oder ihrer Elternrolle nicht mehr ausreichend nachkommen können. Es ist eine schwer zu stoppende Abwärtsspirale.
Lösungsansätze
Um diesem Problem Einhalt zu gebieten, entwickeln viele Europäische Länder eigene Strategien, die entweder universal oder ganz spezifisch auf besonders anfällige Bevölkerungsgruppen abzielen.
Das "Isländische Modell"
Das "Isländische Modell" setzt beispielsweise darauf, wirtschaftliche, physische oder auf das Verhalten abzielende Veränderungen im gesellschaftlichen Leben einzuleiten. Das führt entweder zu der Verringerung der Anzahl an Läden, die Alkohol verkaufen, kleineren Alkoholflaschen oder der Einführung eines Grundschulprogramms, welches bestimmte Normen und Werte vermittelt. Insgesamt ist zielführend, "gutes Verhalten" erstrebenswert zu machen und Risikoverhalten zu vermindern.
Digitale Anwendungen
Im Zuge der Digitalisierung gibt es immer mehr Apps, die zur Beratung, Behandlung und Beobachtung von Patienten eingesetzt werden können. Computerprogramme informieren über die Fortschritte und Effektivität einer Therapie und helfen so den Behandelnden und Ärzten, ihre Ansätze weiterzuentwickeln.
Ambulante und stationäre Behandlung
Der größte Anteil der Patienten lässt sich ambulant oder stationär in eigens darauf ausgelegten Einrichtungen oder Gesundheitszentren behandeln. Dazu kommt außerdem die Möglichkeit einer Substitutionstherapie, die meist in Kooperation mit dem Hausarzt erfolgt. Dabei wird die Droge durch einen nicht abhängig machenden Stoff ersetzt.
Drogenkonsumräume
Um den Abhängigen weniger risikoreichen Konsum zu ermöglichen, eröffnete 1986 in Bern der erste Drogenkonsumraum. Unter Beaufsichtigung können die Konsumenten dort sterile Utensilien zur Einnahme und Injizierung der selbstmitgebrachten Substanzen in Anspruch nehmen. Zielsetzung ist das Verhindern von Krankheitsübertragungen, Überdosierungen und die Weiterleitung an spezialisierte Behandlungsstellen.
Maßnahmen in Karlsruhe
Drogenkonsumraum
Im Dezember 2019 eröffnete der erste Drogenkonsumraum in Baden-Württemberg. Dieser steht unter der Trägerschaft der AWO Karlsruhe. Dort besteht die Möglichkeit für Drogenabhängige, ihr mitgebrachtes Suchtmittel in einer medizinisch sterilen Umgebung zu konsumieren. Das anwesende Personal achtet auf die Vermeidung von Drogenmissbrauch und leistet bei Notfällen Erste Hilfe. Die Mitarbeiter stehen ebenfalls beratend zur Seite, um den Betroffenen bei ihrem Weg aus der Sucht zu helfen.
"Ich bin überzeugt davon, dass wir mit diesem Ort die Risiken des illegalen Drogenkonsums, wie Infektionen oder Überdosierungen, eindämmen können."
Damit soll die Zahl der Drogentoten verringert und der illegalen Drogenszene Einhalt geboten werden. Bis zur Eröffnung konzentrierte sich diese hauptsächlich am Werderplatz in Karlsruhe. Für eine Entspannung der Situation soll nun diese Verlagerung in sichere Räumlichkeiten sorgen. Bisher gab es an dem Platz schon ein Alkoholverbot und die Einrichtung eines Alkoholkonsumraums. Ein weiterer Vorteil des Projekts ist die Erhöhung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung sowie das Wiedereinkehren von Sauberkeit an den betroffenen Plätzen.
Einrichtung
Der Drogenkonsumraum verfügt über steriles Besteck und Utensilien zur Einnahme der Substanzen. Vier Plätze wurden eingerichtet, jeweils vor aufgehängten Spiegeln, um die Venen zur Injektion sichtbar zu machen. Vor dem ersten Besuch müssen die Abhängigen bei einem Gespräch eine Nutzungsvereinbarung unterschreiben. Dort sind die Hausordnung und Hygieneregeln des Raums festgehalten. Der Vertragsbruch führt zum Hausverbot.
"getIN"
Nebenan befindet sich die bereits bestehende Kontaktstelle "getIN", welche ebenfalls durch die AWO Karlsruhe betrieben wird. Hier besteht die Möglichkeit eine warme Mahlzeit einzunehmen, sich zu waschen oder zu duschen, sowie die Spritzen auszutauschen. Gemeinsam sollen die beiden Räumlichkeiten für sicheren Konsum sorgen. Außerdem müssen die Konsumenten keine Angst vor der Polizei haben, da das Projekt mit den Behörden abgesprochen ist.
Beschlussfindung
Es war ein langer Weg bis hin zu der Einrichtung des Drogenkonsumraums. In der grün-schwarzgeführten Landesregierung war das Thema lange umstritten. Nun einigten sich die Parteien auf eine dreijährige Verordnung. Im letzten Jahr der "Probezeit" muss eine Evaluation gestartet werden, um die Effektivität des Raums einzuschätzen. Dabei werden die Angebotsannahme und das Regelwerk überprüft.
Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag und an Feiertagen: 10:00 bis 16:00 Uhr
Sonntag: geschlossen
Adresse: Kriegsstraße 76
Bei Fragen wenden Sie sich an die Sozialarbeiter Petra Krauth und Eric Kramer.
KiD – Hilfe für drogenabhängige Eltern
KiD ist eine Beratungs- und Hilfestelle für drogenabhängige, substituierte oder ehemals drogenabhängige Eltern. Oftmals fällt es werdenden Müttern oder Eltern mit einem Drogenproblem schwer, sich Hilfe zu holen, aus Angst ihr Kind zu verlieren. Deshalb hat KiD es sich zur Aufgabe gemacht, Familien zu unterstützen und ihnen das Zusammenleben zu erleichtern. Die anonyme Beratung erfolgt vertraulich, jedoch stets unter der Prämisse, das Wohlergehen des Kindes zu gewährleisten.
Das Angebot:
Beratung
Die Stelle bietet Beratung zur Kindesgesundheit, Entwicklung und Erziehung an. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit zur Konsultation bei Sucht-. Partnerschafts- und Unterhaltsproblemen.
Praktische Hilfen
KiD hilft außerdem in Krisensituationen und erteilt Ratschläge zur Haushaltsführung, Kinderbetreuung und Freizeitgestaltung.
Unterstützung
Die Familien können sich Unterstützung im Umgang mit Behörden, Ämtern, Ärzten und Kindergärten holen.
Gruppen
Als weiteres Angebot gibt es von KiD organisierte Gruppen- und Freizeitaktivitäten.
Sprechzeiten:
Montag: 9.00 – 12.00 Uhr
Mittwoch: 13.00 – 17.00 Uhr
Donnerstag: 14.00 – 16.00 Uhr
Adresse: Kronenstr. 15
Telefon: 0721 35007-147
Fax: 0721 35007-160
E-Mail: kid@awo-karlsruhe.de
FreD - Jugendhilfe
Das FreD-Programm ist ein Kursangebot, welches Jugendliche über Recht, Drogen und die Ursachen von Sucht aufklärt. Die Heranwachsenden setzen sich mit ihrem Konsum auseinander. Sie lernen Alternativen zu den schädlichen Drogenaktivitäten kennen. Damit soll Drogenmissbrauch oder eine Abhängigkeit verhindert und neue strafrechtlichen Folgen vermieden werden.
Zielsetzung
- FreD regt die Reflexion und Konfrontation mit dem Drogenumgang und den Folgen des Konsums an.
- Das Programm motiviert zur Einstellungs- und Verhaltensänderung.
- Die Jugendlichen werden über die Drogen, Wirkungen und Gefahren aufgeklärt.
- Außerdem werden die Teilnehmer über Angebote der regionalen Drogenhilfe informiert.
Zur Teilnahme müssen Sie sich einfach an die Karlsruher Jugendberatung und Drogenberatung wenden. Dort werden Sie weitervermittelt:
Öffnungszeiten
Montag bis Donnerstag: 08:30 bis 12 Uhr, 13 bis 17 Uhr
Freitag 13 bis 16 Uhr
Offene Sprechstunde
Dienstag und Donnerstag 13 bis 14 Uhr
Adresse: Kaiserstraße 64
Telefon: 0721 133-5391
Fax: 0721 133-5489
Fachstelle Sucht Karlsruhe
In der Suchtfachstelle der Stadt Karlsruhe können Sie sich gerne weitere Informationen und Beratung einholen.
Adresse: Karlstr. 61
Tel.: 0721 352398-10
Fax: 0721 352398-99
E-Mail: fs-karlsruhe@bw-lv.de
Quellen
http://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/11364/20191724_TDAT19001DEN_PDF.pdf (23.03.2020)
https://meinka.de/drogenkonsumraum-in-karlsruhe-landesweit-erste-einrichtung-oeffnet/ (23.03.2020)
https://www.awo-karlsruhe.de/leistungen/besondere-lebenslagen/suchthilfe/ (23.03.20)
https://www.karlsruhe.de/b3/soziales/einrichtungen/drogenberatung/kontakt (23.03.20)
https://www.planb-pf.de/praevention-fruehintervention/fred/ (23.03.20)
https://www.bw-lv.de/beratungsstellen/alle-beratungsstellen-anzeigen/#locationitem_287 (23.03.20)
https://www.weltderwunder.de/artikel/geschichte-der-drogen-von-tollkirsche-bis-crystal (23.03.20)
https://de.wikipedia.org/wiki/Drogenkonsumraum (24.03.20)
http://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/2734/Drug%20consumption%20rooms_POD2017_DE.pdf (24.03.20)
https://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/4_Presse/1_Pressemitteilungen/2019/2019_IV.Q/DSB_2019_mj_barr.pdf (25.03.2020)